#wahlweiseWahl

Keiner klatscht Applaus

Der Wahlkampf findet online statt. Wer sonst vielleicht noch stehen bleibt, um zuzuschauen, muss jetzt aktiv klicken. Lohnt es sich?

 

Die Freien Demokraten, die Grünen, die Linken haben vorgelegt und Ihren Wahlkampfauftakt live ins Netz gestreamt. Obwohl es Unterschiede gab, haben sie  doch etwas gemeinsam: sie scheiterten alle am selben Punkt.

 

Am Anfang ist da nur ein Standbild. Gleich geht es los mit dem Live-Stream zum Wahlkampfauftakt. Oder irgendein flotter Spruch, der auch auf die Plakate der Partei gedruckt wurde. Die Grünen erdreisten sich sogar einen Countdown zu zeigen. Als würde mit dem Ablauf von eben diesem tatsächlich etwas Großes, Neues beginnen. 2022 zum Beispiel. Oder die Helene-Fischer-Show. Danach kommt vielleicht noch ein Spot, wie bei der FDP (sie haben scheinbar wirklich nur den einen), dann geht es aber wirklich los. Die Kamera zeigt in der Totalen: ein ziemlich trauriges Bild. Zwei, drei manchmal vier Menschen stehen da, mal sitzen sie, übertrieben aufrecht vor den Bannern ihrer Partei, immer mit ausreichend Abstand. Schon jetzt fehlt das „auf-die-Bühne-kommen“. Der erste Vorschuss-Applaus und das fröhliche Winken und gewichtige Nicken in die versammelte Runde.

Jemand Nicht-ganz-so-wichtiges aus der Partei hat die Moderation übernommen. Vielleicht der Landesvorsitzende, wie bei der FDP oder der Linken. Jedenfalls nie die Spitzenkandidatin. Es folgt eine langatmige Vorstellung der Speaker die man sich mit Blick auf die Zuschauerzahlen, die sich im unteren dreistelligen Bereich befinden, ganz sicher sparen könnte. Außer einen paar besonders eifrigen Journalisten (hallo!) und Parteimitgliedern schaut wohl eh niemand zu. Man könnte es auf die Politikverdrossenheit schieben, wenn sich die Parteien nicht so erkennbar wenig Mühe geben würden. Einzig und allein die Tatsache, dass die Veranstaltungen abends stattfinden, zeugt davon, dass zumindest der Wunsch da sein könnte, dass sich auch Unentschlossene, Wechselwähler oder Zugezogene hierher verirrt haben. Wechselt die Kamera mal aus der Totalen ins Nahe sieht man ein paar hektisch herangezoomte Gesichter. Schnelle Schnitte, gar eine dritte Kamera? Fehlanzeige. Zwar gibt es bei der Veranstaltung der Linken immerhin Musik von Akki Schulz, der mit Rio Reiser versucht, die Stimmung etwas aufzulockern, aber so richtig Showatmosphäre will sich auch hier nicht einstellen. Interaktion mit dem Publikum ist quasi nicht vorhanden. Im Livechat der FDP Veranstaltung bei Youtube finden sich keine 10 Kommentare. Die Hälfte beschwert sich über den schlechten Ton. Damit war zwar wohl nur die Akustik gemeint, aber, der Ton, das heißt die Ansprache des Publikums, ist wirklich schlecht. Reden werden mit demselben Pathos gehalten. Es wird auf Applaus abgezielt, aber der kommt natürlich nicht. Kann nicht kommen. Dabei sind die Möglichkeiten längst da: Abstimmungen, Livechats die gestreamt werden und auf die reagiert wird, über Videokonferenztools wären sogar fremde Wortbeiträge möglich. Clubhouse lässt grüßen. Aber die Wenigen, die überhaupt zuschauen werden nicht miteinbezogen in die Veranstaltung. Dabei könnte das einen echten Mehrwert bringen. Die Zwischenrufe und Störer, die bei einer Marktplatzveranstaltung zwar nerven können, oft aber auch berechtigte Fragen stellen, müssten hier brav in den Chat schreiben. Zumal sich mit Bodo Ramelow und Christian Lindner (die Linken fürchten den Verlust von mehreren Prozenten, die Liberalen hoffen auf den Einzug ins Parlament) auch echte Stars aus der Bundespolitik zu Gast sind. Beides geübte Rhetoriker, die mit Störfaktoren sowieso umgehen können. Und das gerade der Clubhouse-Fan Ramelow nicht auf innovativere Formate setzt, enttäuscht doch sehr. Vielleicht hängt ihm die Candy-Crush Geschichte noch zu sehr nach: vor ein paar Wochen hatte er in einer Talkrunde in der Social-Audio-App launig erzählt, dass er in den Ministerpräsidentenkonferenzen des Bundes gerne mal ein paar Level bei Candy Crush schafft. Er erntete einen Shitstorm. Dennoch wünsche ich mir, dass man sich hier wieder mehr trauen würde.

Mit Blick auf die Bundestagswahl könnte das ein sehr langer und doch sehr langweiliger Wahlkampfsommer werden. Die „Heiße Phase“ des Wahlkampfs, wie es die FDP propagiert, wird mit den bisherigen Formaten jedenfalls nicht eingeläutet. Die Linken haben zuletzt zu themenbezogenen Gesprächsrunden eingeladen. Unter anderem zu ihrem umstrittenen Plakat: „Nehmt den Wessis das Kommando“. Ob das funktioniert und was wir im Wahlkampf sonst noch von der Partei erwarten dürfen diskutieren wir am Donnerstag den 27.05 mit der Spitzenkandidatin Eva von Angern ab 14:30. Wenn Sie mögen können Sie auch dabei sein. Schreiben Sie uns an: wahlweiseMD@web.de und seien Sie Gast in der große Zoomkonferenz. Gerne dürfen Sie Fragen stellen oder Anmerkungen machen oder auch einfach nur nebenher Candy Crush zocken.